Licht als künstlerisches Ereignis

Modulation von Raum, Material und Information

In seinem künstlerischen Werk widmet sich Hinrich Gross der Erkundung des Lichts. Seine Arbeiten sind Werkstatt, Laboratorium, Studio und Archiv. Er teilt mit uns, seinem Publikum, den Ort und den Moment der Entdeckung. Seine Installationen sind technische Versuchsanordnungen ebenso wie ästhetische Konstrukte.

Sie zeigen Licht als physikalisches, technisches und grafisches Material ebenso wie als verdecktes Medium, das die Informationen, die es transportiert, mit den ihm immanenten mischt. Er sondiert das Spannungsfeld, das Licht in seinem visuellen Spektrum als das Pendant der Wahrnehmung ebenso wie als das der Darstellung zum Gegenstand ästhetischer Reflexion und Artikulation macht. Er übersetzt physikalische Erkenntnisse in ästhetische Botschaften. Seine Poesie gilt der Art und Weise wie sich Sehen und Betrachten verweben lassen.

Dabei verhält sich Licht wie eine Idee – für sich betrachtet entzieht es sich der visuellen Existenz und erst im Zusammenspiel mit Zeit, Raum und Materie entstehen die Kaleidoskope aus Farben und Formen, aus denen sich Bilder generieren lassen. Hinrich Gross zeigt Licht, zeichnet mit ihm, formt es und nutzt seine bildnerischen Qualitäten. Der Widerschein des Lichts, moduliert durch das Material, auf das es trifft oder den Raum, den es durchwandert, ist die Art der Reflexion, in der er das Sinnliche und das Sinnstiftende des Visuellen untersucht. Er treibt einen Keil in die Gewohnheit der Wahrnehmung und fragt danach, ob sich das, was wir sehen, auch anders lesen lässt.

Seine Arbeit speist sich aus einem Wissen um die Architektur, aus (licht-)technischem Interesse und aus der Vertrautheit mit den historischen Positionen in der künstlerischen Auseinandersetzung mit physikalischem Licht. Seine Aufbauten sind Requisiten, mit denen er das Verhältnis von Lichtquelle und Wahrnehmungsort tariert. (…)

In der Betrachtung differenzieren sich das Sehende, das Bildgebende und das Sinnbildende, ohne sich aus dem wechselseitigen Bezug zu entlassen. (…)

In den künstlerischen Fragestellungen von Hinrich Gross geht es nicht um Überforderung, Täuschung oder Illusion, sondern um die Verlässlichkeit dessen, was wir als Wirklichkeit betrachten. Wo das Licht wechselt, verändern sich Farben, Oberflächen und Formen und verlieren ihre Eindeutigkeit. (…)

Hinrich Gross überlässt der Veränderlichkeit des Lichts die Regie für den im Werk angelegten Prozess des Betrachtens. Er zeigt, wie in der Arbeit mit Licht und in der Betrachtung von Licht neue Einsichten generiert werden. Er artikuliert, wie für ihn das Wissen um die Lichtverhältnisse und ihre vielfältigen Wechselbeziehungen die Lesbarkeit und das Verständnis für die Erscheinung der Welt verändert und seine Weltanschauung moduliert. Seine Arbeiten sind inspiriert von einer Idee, in der Ästhetik als Wissenschaft sinnlicher Erkenntnis verstanden wird. Sie belegen, was Lawrence Weschler, nach mehr als 30 Jahren der Zusammenarbeit mit Robert Irwin, über die Arbeit mit Licht schrieb: „Seeing is forgetting the name of the thing one sees“.

Bettina Catler-Pelz