INTERFERENZRAUM III
Hinrich Gross

Kurztext zur Ausstellungseröffnung am 28. 10. 2004

Liebe Gäste,
ich freue mich, Sie zur Eröffnung der Ausstellung lnterferenzraum III von Hinrich Gross im Rahmen des Viertaktmotor-projektes des Einstellungsraumes begrüßen zu dürfen. Der Begriff ,Interferenz‘ leitet sich aus dem Lateinischen inter / zwischen und ferire /schlagen, treffen ab.
Im physikalischen Bereich bezeichnet er die Gesamtheit der Überlagerungserscheinungen, die beim Zusammentreffen von elektromagnetischen Wellen entstehen Wie der Ausstellungstitel lnterferenzraum III andeutet, beschäftigt sich Hinrich Gross seit einiger Zeit mit den Über- lagerungs- und Verschiebungsphänomenen, die an den Schnittstellen von Realraum, Farbraum und Lichtraum stattfinden.

Er zeigt hier im EINSTELLUNGSRAUM eine der vorge- gebenen doppelgeschossigen Raumdisposition angepasste, zweiteilige Lichtinstallation, in der der Realraum und der Lichtraum sich überlagern. Im Erdgeschoss liegt auf dem Boden eine quadratische Leuchtfläche, die mit ihrem grellen weißen Licht den Raum überflutet. Die Verschiebung findet zwischen Erdgeschoss und Keller statt, in dem der zweite Teil der Arbeit, das Abbild des Lichtquadrates, als Projektion an der Wand erscheint. Im Erdgeschoss sehen wir auf dem quadratischen Kachelboden eine bauhaus-artige, minimalistische Licht- instalation, ein Lichtquadrat, zusammengesetzt aus neun handelsüblichen Industrieleuchten, in denen im Metallraster die Lichtröhren sitzen und ein gleichmäßiges weißes, blendendes Licht ausstrahlen. Licht, das wir gewöhnlich sowohl als Naturlicht aber auch als künstliches Licht aus der Richtung von oben kommend wahrnehmen, ist hier nach unten versetzt, besitzt Bodenhaftung, Erdverhaftung.

Beim direkten Blick auf das Objekt wird das Auge, das Sinnesorgan für die optische Wahrnehmung, von der Helligkeit überwältigt, es entsteht eine körperliche Unruhe und Spannung, die den Betrachter zur Bewegung im Raum zwingt, die allerdings durch das Quadrat eingeschränkt ist und zur indirekten Wahrnehmung des Lichtes im Raum führt.

Licht ist jener elementare Stoff, mit dem alles begann, der Lebensenergie bedeutet. Besondere Bedeutung kommt dem weißen Licht zu, das als geistiges Licht eine Anspielung und Ahnung vom geistigen Raum vermittelt. Ein mit der Aufklärung einhergehender Transzendenzverlust von der Offenbarung zur Erfahrung, – wie es Wemer Hofmann in dem Ausstellungskatalog Europa 1789 formulierte -, der ein Vakuum in der säkularisierten und materialisierten Welt hinterlässt, und die Sehnsucht nach dem Geistigen in der Kunst mit allem Wenn und Aber produziert, wie es sich in der Kunstentwicklung des 20.Jahrhunderts seit Kandinsky beob- achten lässt.

Licht wurde zum Forschungsobjekt der Naturwissenschaften, schließlich in der Empirie als elektromagnetische Welle definiert und in seine Farbspektren zerlegt. Es besitzt erstaunliche Qualitäten, die sich in den unterschiedlichen Lichttheorien äußern. Es ist geradlinig und direkt, kann sich aber auch wellenförmig und als Teilchen ausbreiten. Es kann sichtbar und unsichtbar vorhanden sein, wie auch materiell und immateriell. Licht ist ein Material, das Dinge verwandeln, aber auch von der Materialität befreien kann. Es kann Objekte scheinen und erscheinen machen. – Analog zur Emanzipation der Farbe in der Kunst des 20., Jahrhunderts erlebte auch das Licht als Material eine Befreiung aus seiner dienenden, mimetischen Funktion. Die Wege des Lichtes in der Kunst führen von Kandinsky über den tiefen blauen Farbraum von Ives Klein, den Licht-Raum-Modulator eines Laszlo Moholy-Nagy – um nur einiges zu nennen – hin zu den Lichtarbeiten eines O. Eliason und zu den endlosen Lichträumen von James Turrell. Es sind immer auch Visionen und Träume vom geistigen Raum.

Zahlreiche Assoziationen werden wachgerufen. Wer würde beim Anblick des Lichtquadrates von Hinrich Gross nicht auch sofort an das Schwarze Quadrat von Malewitsch erinnert, wie auch speziell in Hamburg an den von Gerhard Merz im Treppenhaus der Kunsthalle inszenierten Lichtraum, in dem man allerdings nach oben steigt und dort an der Decke das Schwarze Quadrat findet.

Der zweite Teil der Arbeit von Hinrich Gross befindet sich im Keller.
Die Lichtinstallation ist an die Rückwand des Raumes im Maßstab 1 : 1 projiziert. Ein graphisch strukturiertes ‘Lichtbild’ erscheint, in dem die Metallfassung der Leuchten sich zu entmaterialisierten, grauen Linien verwandeln und die Lichtröhren, das Licht, sich in farbigen Tönen zeigt. Ein vom Apparat gemaltes Lichtbild erscheint als selbstreferenzielles Abbild an der Wand. Im Unterschied zum Originalobjekt im Erdgeschoss leuchtet es nicht selbst, sondern wird durch eine indirekte Lichtquelle, eine Reproduktionsmaschine, den Projektionsapparat beleuchtet. Die Differenz zwischen Bild und Abbild wird freigelegt. Mit Hilfe von Licht wird Licht abgebildet und in ein anderes verwandelt. Ein Spiel von Licht und Schatten, Materialisierung und Dematerialisierung, Verwandlung und Rückverwandlung wird vorgeführt.

Sigrid Puntigam