aus: „Impuls gleich Masse mal Geschwindigkeit“, Teil 2 : Hinrich Gross, Lydia Hartmann, Lutz Krüger
Einstellungsraum Hamburg

„Geschwindigkeit: Meter pro Sekunde, also zurückgelegte Strecke durch die dafür verwendete Zeit, soll sie gleichbleiben, darf sie schneller und langsamer werden, wie hört sie wieder auf? Lichtgeschwindigkeit, die schnellste zur Zeit, aber nicht sichtbar nachvollziehbar, Überschallgeschwindigkeit, sichtbar nachvollziehbar und hörbar, in Kung-Fu Filmen hört man die Schnelligkeit des ausholenden Schlages, Zeitlupe, Schneckentempo, achtsames Gehen, bpm, beats per minute, das Herz passt sich an.

Masse: groß, schwer, oder klein und unsichtbar. Körper, Mauer, Raum, Dinge, Kunst, Lichtstrahl, eine elektromagnetische Welle. Interessanterweise entsteht wahrend der zur Zeit am höchsten zu erreichenden Geschwindigkeit ein Mikroteilchen und zwar nur für die Dauer der Bewegung, Partikel, Atome, federleicht, Datenmenge, schwarze Löcher.

Impuls: Energie, Wucht, Stoß, Schubs, Energie kann nie verloren gehen, Kraftfutter, Anschub, Strömen, Energiefluss, Kernspaltung, Atem, Sog, Blitz und Donner, Wortschwall, Resonanz, Zellteilung, Sturm, Denkanstoß, perpetuum mobile, wieso dreht sich die Erde eigentlich immer noch?

Das erste, das mir HINRICH GROSS sagte, war, das Spröde der Formel habe ihm sogleich gefallen. Besonders die Eigenschaften interessierten ihn. Die Eigenschaft der Masse, der Geschwindigkeit und des Impulses. Wenn Sie versuchen, die assoziativen Begriffe, die ich eben nannte, mal wie in der Formel miteinander zu kombinieren, dann wird Ihnen gleich nicht nur die Vielzahl der Variationen klar, sondern auch deren Qualität.

Alle Elemente kommen in der Diashow von Gross vor und die Formel geht auf. Optisch natürlich. Was sich bewegt, sind Dias in vier Karussellen. Der Rhythmus ist unwichtig, eine gewisse Synchronisiertheit ist erwünscht, aber nicht notwendig. Die Diaprojektoren sind so aufgestellt, dass die Lichtbilder direkt nebeneinander zu sehen sind, randlos aneinander anschließen. Die Bildmasse ist transparent, Licht befördert die Bildinformation. Aufgefangen wird sie von der Wand, die daher zunächst einmal zur Schnittstelle wird. Der Impuls kommt aus der Steckdose. So wirkt die Formel äußerlich. Und innerlich, also bei uns?

Natürlich interessiert uns zu Recht die Qualität dessen, was da projiziert wird und wohin. Welche Eigenschaft besitzt die Bildmasse noch? Es sind Fotos einer Wand, nicht irgendeiner Wand, sondern der des Ausstellungsraumes. Kacheln, Heizung, Deckenausschnitt, Bohrloch, gelöcherte Wandverkleidung. Als Motive sind sie für sich gesehen belanglos. Spannend ist, dass das Bild der Realität die Wandrealität selbst überlagert. Eine Verdoppelung desselben sichtbaren Raumausschnittes. Doch wird uns nicht wie in der Werbung eine Message eingebleut, noch besteht die Tautologie in einer überflüssigen Verdoppelung des Selben. Sie ist nämlich nie perfekt! Und so passiert etwas zwischen dem Abbild und dem Tatsächlichen, etwas gerät in Bewegung. Es sind die kleinen Verschiebungen, die kleinen Unschärfen, die Veränderungen im Detail, die Verdrehungen, die blanke Beleuchtung oder Verdunkelung der Realität, die unsere Wahrnehmung wachküssen. Das ist sein Beitrag zur Grenzerfahrung.

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Dr. Iris Simone Engelke