Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Hinrich Gross – Eva Riekehof – Sylvia Schultes / White Wide Essay

In der Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof am 03.07.2008

Die White Wide Space Gallery, die zwischen 1966 und 1976 in Antwerpen existierte, gehörte zu den innovativsten Orten in der europäischen Kunstszene. Dass Orte und Räume genauso wichtig sind wie die in ihnen gezeigte Kunst, hat der irische Konzeptkünstler und Kunstkritiker Brian O’Doherty in den 1970er Jahren unübertrefflich beschrieben.

In seinen Essays über den „White Cube“ behauptet O’Doherty nicht ohne Ironie, dass das wichtigste Werk der Moderne kein Kunstwerk an sich, sondern ein neutraler, weiß gestrichener Galerieraum, aus dem alles ausgesperrt ist, was die Wahrnehmung der Kunst stören könnte. Ein Standaschenbecher werde fast zu einem sakralen Gegenstand, ein Feuerlöscher sehe aus wie ein ästhetisches Scherzrätsel.

Nehmen wir einmal an, dass Eva Riekehof, Sylvia Schultes und Hinrich Gross, als sie das erste Mal die Galerieräume hier betraten, zunächst einmal von der relativen Neutralität der Räume ausgingen, in denen sie ihre Arbeiten zeigen wollten.
Aber dann fielen ihnen mehr und mehr Dinge auf, die wie für O’Doherty die Aschenbecher oder Feuerlöscher, je länger sie die Räum auf sich wirken ließen, eine desto unauslöschlichere Präsenz entfalteten, so dass es viel gebotener schien, statt sie zu ignorieren, sie bewusst in die Ausstellungskonzeption einzubeziehen oder sogar zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen zu machen.

In diesem Raum, der auch der größte der Ausstellungsräume ist, gibt es zum Beispiel von außen eindringendes, durch die hellen Rouleaus vor den Fenstern nur teilweise abgeschirmtes Licht. Mit der Semitransparenz arbeitet Sylvia Schultes bei diesem Kubus, dessen Vorhänge aus Frühbeetvlies vergleichbare Wirkungen sich überlagernder Schichten und Verdichtungen ergeben, wie es in den sehr systematisch angelegten und teilweise sehr farbigen Bildern geschieht, die das Werk der überwiegend als Malerin tätigen Künstlerin überwiegend ausmachen. Dam halb abgeschirmte Licht steht eine gerichtete starke Lichtquelle gegenüber, ein Scheinwerfer, dessen Licht auf eine Gruppe von Taschenspiegeln fällt, die Hinrich Gross auf einem kleinen Holztisch angeordnet hat und die es glitzernd reflektieren.
Größere Spiegel findet man in dem Raum vorne links, wo Eva Riekehof sie in ungewöhnlichen Positionen an der Wand befestigt hat, so dass sie in unterschiedlichsten Winkeln in den Raum hineinragen und durch das von ihnen reflektierte Licht raffinierte Wirkungen hervorrufen, die mit den durch die Rouleaus geworfenen Schatten korrespondieren. Die Rouleaus sind hier telweise selbst aufgehängt…
Man könnte ja Spiegel wie Bilder einfach an der Wand aufhängen, und dazu gibt es in allen Räumen eine Leiste, an der Bilder normalerweise mit Metalldrähten aufgehängt werden. Dieses Hängesystem ist durch die Aufhängung der in den Raum ragenden Spiegel und Rouleaus als aktive Größe thematisiert.

Andere Arbeiten befinden sich direkt an bzw. auf der Wand, so die ein großes ornamentales Tableau bildenden Scherenschnitte von Sylvia Schultes, die teilweise den illusionistischen Effekt erzeugen, als ob es sich um mit der Wand direkt verbundene Stuckdekorationen handeln würde.
Nirgends sonst in der Ausstellung gibt es derart viele formale Details, ansonsten geht es eher minimalistisch zu. So auch bei den Wandarbeiten von Eva Riekehof in diesem Raum. Was zunächst wie eine Zeichnung mit einem farbigen Stift aussieht, sind direkt auf die Wand gespannte und an denen Enden an ihr befestigte rote Mauterschnur, ein Vorgehen, das man ähnlich von dem amerikanischen Künstler Fred Sandback kennt.

Es ist kein Zufall, dass die größte Zweideutigkeit bei den Arbeiten entsteht, die direkt an der Wand platziert sind: Die Wand war traditionell die Grenze zwischen dem realen, betretbaren Raum und dem virtuellen des Bildes, der sich etwa auf einem zentralperspektivisch gemalten Fresko scheinbar öffnete.

Was in Wirklichkeit ein Faden ist, könnte theoretisch auch ein projizierter Lichtstrahl sein, so wie der unsichtbare Laserstrahl, den Hinrich Gross in knapp 2 Meter Höhe durch den Flur hindurch über die ganze Länge der Galerieräume laufen lässt. Nicht wirklich gefährlich, aber direkt hineinschauen sollten Sie lieber nicht.

Alle Arbeiten, in denen es um Lichtprojektion geht, stammen von Hinrich Gross. Im Flur stehen mehrere Diaprojektionen, die einzelne Worte auf die Wand werfen und damit an die Schriftarbeiten der strengen frühen Konzeptkunst der 1960er Jahre erinnern, auch in ihrer Selbstreferentialität.

Im hinteren Raum links stehen drei Projektoren, die ein gemeinsames Bild auf die Wand werfen. Das Bild ergibt sich als Zusammensetzung der Bilder der drei Masken, die Gross in die Projektoren eingesetzt hat. Die zusammengesetzte wabenartige Struktur, die in diesem Raum fast so wirkt, als wäre es eine schrägperspektivische Aufnahme der quadratischen Gliederung der Deckenabhängung, erinnert an die vor allem in der Op Art beliebte Technik des Siebdrucks, bei der die verschiedenen Farben nacheinander durch ein Sieb gerieben werden, wo wir wieder bei der Semitransparenz, der Frage der relativen Durchlässigkeit wären, die auch bei der Projektion auf einen Heizkörper eine Rolle spielt, bei der nur Teile des Bildes auf eine Projektionsfläche treffen und andere verschluckt werden.

Ebenfalls im Raum rechts hinten befindet sich Eva Riekehofs Arbeit „Weißer Kranich“, bei dem das vergrößerte Foto eines japanischen Karatekämpfers hinter einem Vorhang zu sehen ist, der aus den weißen Ketten besteht, an denen die Rouleaus in den Räumen auf- und zugezogen werden. Das labile Gleichgewicht, in dem sich der eher wie ein Tänzer denn ein Kämpfer wirkende Mann befindet, korrespondiert dann wieder mit den labil aufgehängten Spiegeln und in dieser körperlichen Haltung drückt sich vielleicht die Haltung aus, die in der ganzen Ausstellung und bei allen drei Künstlern zu finden ist: nämlich immer wieder ein Gleichgewicht anzupeilen zwischen der künstlerischen Setzung, die in den Räumen stattfinden, und einer Intensivierung der Wahrnehmung der Räume selbst. Und so werden diejenigen von Ihnen, die schon öfter hier waren, vielleicht ein völlig anderes Gefühl haben, wenn Sie durch die Räume gehen, als bei anderen Ausstellungen zuvor.

Ludwig Seyfarth

Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
BA Treptow-Köpenick v. Berlin / Kulturamt